MEGA FREMDE
Foto: Mega Fremde in Prag, Euncheol Choi, 2012
Frühling der Mega Fremde in Prag
In Tschechien scheint Prag wie das Bühnenbild einer mittelalterlichen Stadt zu sein. Die vielen Besucher erscheinen wie Akteure in einem Schauspiel. Einerseits führen sie in ihrer Masse ein Chaos herbei und andererseits füllen sie die Bühne mit ausladenden Gesten, raffgierigen Gebärden und offenkundigem Blicken auf die großartige Architektur. Aber die theatralische Sprache ist das Schweigen.
Als ich im Frühling allein in Prag war, fühlte ich mich wie ein Fremder in einer unbekannten Stadt, fremd unter den Touristen und ebenso fremd unter den Einheimischen. Sie hatten kein Interesse aneinander. Das Phänomen war, dass sich die völlig fremden Menschen, die „mega Fremden“, dennoch alle um punkt 12 Uhr an einem bestimmten Ort versammelten. Wie auf eine Verabredung hin kamen sie zusammen, um die astronomische Uhr von Prag und ihren Stundenschlag zu erleben. Ein Fest für die Digitalkameras in tausend Händen. In diesem Moment erlebte ich eine große Leere des Daseins.
Am Tag darauf saß ich als ein Asiat mit schäbiger Jacke auf der Straße und verfolgte ein Kunstprojekt. Ich platzierte eine Kamera auf die Seite der Passanten im Blick auf mich. Dadurch wollte ich die Perspektive der Touristen einnehmen und deren Anblick auf mich als Einzelnen gegenüber der Masse dokumentieren. Die Kamera stand also neben mir und ich montierte sie in schräger Position auf das Stativ, um diagonale Motive zu schießen, sie also auf schiefer Ebene zu erhalten. Ich beobachtete die Fußgänger und wartete auf günstige Gelegenheiten. Nach fünfstündiger Tätigkeit tauchte plötzlich ein Mann auf, blieb lange an einer Ecke stehen und sah intensiv zu mir herüber. Er beobachtete den Beobachter. Schließlich kam es zu einer Begegnung und wir unterhielten uns mit erheblich sprachlichen Problemen. Es war Herr Drafzche, der sich sehr neugierig zeigte über meine Unternehmung und die schräg hängende Kamera. Er sprach in seiner Muttersprache, die für mich eine absolute Fremdsprache war. Aber er zeichnete und so konnte ich verstehen, was er mir vermitteln wollte. Er berechnete die Schräge des Stativs als astronomische Größe und machte eine Winkelbestimmung, deutete mir so seinen Beruf an und stellte ihn in Verbindung zu meinem Werk. Ich war sehr erfreut und konnte seine mathematische Zeichnung, ein Kommunikationsmittel in der Fremde, in meine Arbeit aufnehmen.